Das Märchen von der Zeit und der schlechten Erreichbarkeit

Es war einmal ein technischer Vertriebsmitarbeiter namens Markus, der bei einem Automatisierungs- und Maschinenbau-Unternehmen in Deutschland seine Brötchen verdiente. Über viele Jahre hatte er eine wirklich gute Zeit. Die Geschäfte liefen, ohne, dass er wirklich aktiv etwas tun musste. Anfragen kamen zur Genüge und es galt tatsächlich zu priorisieren, welche Projekte man bearbeitete und welche man, mal mehr und mal weniger freundlich, absagen konnte.

Es zahlte sich aus, dass das Unternehmen über viele Jahre wirklich gute Qualität ablieferte und eine starke Serviceabteilung im Hintergrund agierte, die mit Wartungs- und Reparaturleistungen sichere Folgeaufträge erhielt.

Das Leben als technischer Vertriebsmitarbeiter war entspannt, man reagierte auf das was kam, erstellte technisch versierte Angebote, bei denen Markus sein großes, über viele Jahre aufgebaute Fachwissen einbringen konnte und die Umsätze waren relativ stabil.

Allerdings, und das konnte Markus nicht leugnen, veränderten sich ein paar Dinge. Langsam und zunächst kaum spürbar waren seit 2018/19 die Anzahl und Qualität der eingehenden Anfragen zurück gegangen. Darüber hinaus hatte er das Gefühl, (gemessen hatte man es nicht, war ja nicht nötig), dass er auch weniger häufig den Zuschlag für die Angebote bekam. Offenbar drängten Wettbewerber auf den Markt, die man zunächst nicht erst genommen hatte. Wer wollte schon Maschinen aus China?

Und dann kam auch noch Corona, wodurch nochmals ein tiefer Einschnitt verbunden war, von dem aber, und das war die gute Nachricht, so gut wie alle Unternehmen betroffen waren. Als die Corona-Krise dann endlich vorbei war, kamen andere Dinge, die das Leben für einen technischen Vertriebsmitarbeiter auch nicht wirklich leichter machten. Feststeckende Container-Schiffe im Suez-Kanal, der Krieg in der Ukraine, mit allen daraus folgenden Problemen, wie beispielsweise den extrem gestiegenen Energiekosten, und schließlich eine Regierung, die offenbar alles tat, um den Unternehmen in Deutschland das Leben so schwer wie möglich zu machen. Eine große Verunsicherung sorgte dafür, dass Investitionen verschoben oder ganz gecancelt wurden. Es war wirklich zum Haare raufen.

Irgendwann, es war wohl im Frühjahr 2023 kam, was kommen musste. Eine Krisensitzung wurde einberufen, bei der alle Vertriebsmitarbeiter ins Unternehmen zitiert wurden. Schonungslos präsentierte die Geschäfts- und Vertriebsleitung die Zahlen und die an die Wand geworfenen Grafiken kannten nur eine Richtung: Abwärts!

Ein bereits von der Vertriebsleitung entwickelter Plan wurde präsentiert, mit dem der Turnaround geschafft werden sollte. Das Ziel war klar: Bestehende Kunden, die lange nichts gekauft hatten sollten reaktiviert und neue Kunden gewonnen werden. Dazu war bereits eine breit angelegte Marketingkampagne gestartet worden, bei der über verschiedene Wege (Mailings, Social-Media, KI-Tools, Messeteilnahmen etc. ) Leads generiert werden sollten.

Bis hierher hörte sich das für Markus alles noch ganz gut an. Schließlich mussten ja irgendwie wieder mehr Anfragen ins Haus geholt werden. Was aber schließlich ganz am Ende der Ausführungen des Vertriebsleiters kam, gefiel dem Vertriebsmitarbeiter ganz und gar nicht.

Jeder Vertriebsmitarbeiter wurde aufgefordert, aktiv bestehende Kunden und mögliche Interessenten aus definierten Branchen anzurufen, und die Liste war lang. Noch dazu wurden Kennzahlen definiert, klare Vorgaben, wie viele Telefonate mit Entscheidern aus der Technik und dem Einkauf zu führen seien. Der Schock bei Markus und seinen Kollegen saß tief.

Sofort brandeten Diskussionen auf, bei denen Markus und seine Kollegen beteuerten, dass sie für derartige Aktivitäten doch überhaupt keine Zeit hätten. Man sei schließlich tief im Projektgeschäft involviert. Außerdem riefen ja ständig Kunden an, bei denen man Feuerwehr spielen musste, weil die Anlagen nicht liefen, Lieferzeiten abgefragt wurden oder andere administrative Themen (Listen pflegen, Auftragsabwicklung, Rechnungsprüfung etc.) viel Zeit verschlangen. Aber es half alles nichts. Die Geschäfts- und Vertriebsleitung ließ sich nicht erweichen. Die Maßnahmen seien umzusetzen, und zwar ohne Ausnahme und unverzüglich.

Man engagierte noch einen Fachmann für Zeitmanagement im Vertrieb, der analysierte, womit Markus und seine Kollegen ihre Zeit verbrachten. Einige Aufgaben, die Markus eigentlich ganz gerne gemacht hatte, wurden an die Kollegen delegiert, die dafür eigentlich da waren (z. B. Auftragsabwicklung und Projektarbeit). Einige lieb gewonnen Tätigkeiten, die man doch immer schon gemacht hatte, wurden ersatzlos gestrichen und manches automatisiert. Und schließlich brachte der „Vertriebs-Effektivitäts-Fachmann“ sogar noch Methoden bei, mit denen man die zur Verfügung stehende Zeit als Vertriebsmitarbeiter sinnvoll priorisieren und planen konnte, sodass tatsächlich freie Zeitfenster für die Telefonakquise zur Verfügung standen.

Diese Ausrede viel nun also auch weg, sodass Markus und seine Kollegen wohl oder übel die Vorgaben erfüllen und aktiven Vertrieb über das Telefon machen mussten.

Schon nach kurzer Zeit zeigte sich, dass die erforderlichen Skills für die Telefonakquise bei Markus und den meisten seiner Kollegen gar nicht vorhanden waren. Wie kam man an den „Wachhunden“ an der Telefonzentrale vorbei? Wie sprach man einen bisher völlig unbekannten Entscheider an, sodass dieser nicht gleich auflegte oder sehr bald mit „wir sind nicht interessiert“, das Gespräch beendete? Wie fand man heraus, ob der Interessent aktuell oder in absehbarer Zeit einen Bedarf hat und wie bekommt man einen Termin, bei einem Entscheider, der eigentlich gar keine Lust auf ein Gespräch hat?

Wieder wurde ein erfahrener Trainer engagiert, der in einem clever aufgebauten Trainingsprogramm die erforderlichen Fähigkeiten vermittelte, in interaktiven Einheiten und Rollenspielen praktische Situationen trainierte und sogar „on-the-job“ einzelne Kollegen in Live-Situationen coachte. Das brachte spürbare Veränderungen und so konnte man schon nach einigen Monaten deutlich messbare Verbesserungen der Kennzahlen erzielen.

Insgesamt arrangierten Markus und seine Kollegen sich immer mehr in der neuen Situation. Was aber blieb, waren die unguten Gefühle bei der Telefonakquise und die ständigen Stimmenim Kopf, die immer wieder die gleichen Sätze wiederholten: „Du bist doch Ingenieur und Techniker, kein Telefonverkäufer“ oder „Dafür hast du doch nicht jahrelang studiert und dir mühsam Fachwissen aufgebaut“ oder aber „für diesen sch… bist du doch eindeutig überqualifiziert“.

Markus machte es besonders zu schaffen, dass er viel mehr Absagen als Termine und viel mehr negatives Feedback, wie „kein Bedarf“ oder „keine Zeit“ als Termine und positives Feedback erhielt. Extrem frustrierend fanden es alle Vertriebsmitarbeiter, dass die Erreichbarkeit bei den Unternehmen so schlecht geworden war. Manchmal musste man dreimal, fünfmal oder sogar noch viel häufiger anrufen, um einen Entwickler, einen Einkäufer oder einen technischen Leiter ans Ohr zu bekommen. Das nervte gehörig. Auf jeden Fall war die „schlechte Erreichbarkeit“ der Ansprechpartner und die damit verlorene Zeit das Argument für Markus uns seine Kollegen, um die anfangs noch recht engagiert und nach den Vorgaben durchgeführte Telefonakquise langsam, aber stetig wieder zurückzufahren.

Schließlich, nach einigen Monaten, hatte die Geschäftsleitung ein Einsehen. Man übertrug die telefonische Kundenreaktivierung und den ersten Schritt der Neukunden-Akquise an eine B2B-Vertriebsagentur, die jede Woche eine vorher abgestimmte Zahl von Entscheidern aus einer klar definierten Zielgruppen-Liste kontaktierte. Entweder wurde Lead-Generierung – also eine gezielte Bedarfsklärung – vorgenommen oder direkt Termine bei Kunden und Interessenten vereinbart, die dann von Markus und seinen Kollegen durchgeführt wurden. Die Schnittstellen wurden definiert, sodass klar war, wann ein Kontakt an die fachlichen Vertriebsmitarbeiter zu übergeben war und schon nach kurzer Zeit funktionierte der „neue Vertriebsprozess“ nahezu perfekt.

Markus und seine Kollegen aus dem technischen Vertrieb konnten sich wieder auf das konzentrieren, was sie gut konnten und trotzdem wurden regelmäßig, systematisch und zielorientiert Bestandskunden entwickelt und vor allem neue Kunden gewonnen. Die Umsätze und damit auch die Auslastung des Unternehmens gingen wieder in die richtige Richtung. Die Erträge stabilisierten sich und es konnte wieder investiert werden. Markus und seine Kollegen und natürlich auch die Geschäfts- und Vertriebsleitung waren wieder glücklich und zufrieden.

Und so arbeiten sie noch heute, und zwar so lange, bis es wieder neuer Wege, Tools, Methoden und Prozesse bedarf, die Veränderungen erforderlich machen.

Wenn Ihnen das Märchen gefallen hat, sie sich vielleicht sogar in der einen oder anderen Situation wiedererkannt haben und auch wieder auf den Erfolgsweg einbiegen wollen, dann spreche Sie mich gerne an.

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Holger Steitz ist Trainer, Berater, Coach und Autor für Vertrieb und Kundengewinnung, Modern-Selling, Führung und Verhandlungstechniken im B2B-Umfeld. Er trainiert und coacht Führungskräfte und Mitarbeiter im Vertrieb und unterstützt mit seinem Team B2B-Unternehmen bei der Entwicklung und Optimierung von Vertriebsstrategien und bei der Umsetzung von Konzepten zur Neukundengewinnung, durch aktive Vertriebsunterstützung, für erklärungsbedürftige Produkte und Dienstleistungen.

Als Autor von mehreren Fachbüchern über den B2B-Vertrieb und die Arbeit als Vertriebsmitarbeiter sowie verschiedene Beiträge in Social-Media und Fachportalen, liefert er immer wieder hilfreiche Impulse für die Praxis.

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